Es war einmal ein fernes Land, in dem die Granatäpfel wuchsen. Dort regierte ein Königsehepaar. Sie lebten in einem wunderbaren Schloss, waren umgeben von einem wunderschönen Garten. Jeden Tag bemühten sich die Diener, der Königin eine herausragende Gaumenfreude zu bereiten. Die Tafel bog sich täglich unter den Köstlichkeiten. Der König war jedoch nur selten da, er war beschäftigt, die großen Ländereien zusammen zu halten. Und die Königin war unglücklich. Warum, das verstand sie selbst nicht so recht.

 

Es begab sich, dass sie schwanger wurde, und zwei properen Jungen das Leben schenkte. Es waren zweieiige Zwillinge, und sie sahen schon so ganz frisch geboren, völlig unterschiedlich aus. Sie nannte den einen Jungen, den mit den blonden Haaren und den blauen Augen, Verstandus, während sie den Anderen, den mit den dunklen Haaren und dunklen Augen Herzus nannte.

 

Verstandus über Herzus

 

Sie liebte beide Söhne aus ganzem Herzen, merkte aber, wie viel einfacher zu händeln für sie Verstandus war. Als Baby war er meistens ruhig. Er schrie selten. Als er dann größer wurde, und ermahnt würde, er dürfe dieses oder jenes nicht machen, sah er es ein, muckte nicht dagegen auf. Noch größer geworden, war er immer so nüchtern, so klug, er lernte so gut in der Schule, und berichtete so interessante Dinge! Er war wie ein kleiner Erwachsener und bereitete ihr keinen Kummer. Und die spannenden Themen bereicherten sie. Es wäre doch dumm, würde man sich nicht für moderne Wissenschaft interessieren, oder?

 

Herzus hingegen, als Baby lachte und weinte er, und sie verstand oft gar nicht recht, was los war. Sie wusste nicht damit umzugehen. Als er größer wurde, muckte er auf, er schrie, er tobte, und dann verlor er sich wieder im Garten, genoss das Spiel mit den Hunden, während er doch eigentlich bei den Hausaufgaben sein sollte. Das war sehr anstrengend für sie, weil sie ihn immer einfangen musste, was er überhaupt nicht einsah. Noch größer geworden, wurde es noch schlimmer, er machte gerade, wonach ihm war, was natürlich nicht dem entsprach, was sie und Verstandus gerade vorhatten. Schule war ihm ein Gräuel.

 

So ergab es sich doch tatsächlich, dass die Königin sich eines Tages eingestehen musste, wie viel lieber ihr Verstandus war, und wie nervig hingegen Herzus. Das tat ihr natürlich schon weh. Sie bekam Mitgefühl für Herzus, fühlte sich als schlechte Mutter. Denn, sollte man nicht beide Kinder gleich lieben?

 

Der Rat der Hofnärrin

 

Die Königin suchte Rat. Auf ihrem Schloss lebte eine Hofnärrin. Weise, klug, humorvoll. Und stets pointiert die Wahrheit auch benennend. An sie wandte sie sich.

 

„Hofnärrin, mir geht Herzus so an die Substanz! Er ist SO anstrengend! Verstandus ist viel einfacher im Umgang. Bei Herzus bin ich so hilflos, ich weiß gar nicht, was er will. Verstandus, das ist so bequem. Und davon abgesehen, hat er manchmal wirklich sehr sehr gute Ideen, auf die ich selbst nicht gekommen wäre, während Herzus unberechenbar ist.“

 

Die Hofnärrin hatte sich sehr intensiv mit anderen Hofnarren und -närrinnen ausgetauscht, es gab richtige Narrenkreise, wo man sich weiterbilden konnte. Sie lernten moderne Spiritualität, die hermetischen Gesetze, das Gesetz der Resonanz, und lernten über das Ego. Sie lernten, dass das Ego der größte Feind sei. Denn das Ego denke, das Ego, der Verstand würde nur Mist denken, einen vom wahren Leben abhalten, und allein die Gefühle seien das Wahre.

 

Mit diesem klugen Wissen gewappnet, antwortete die Hofnärrin:

 

„Verehrte Königin. Erlauben Sie mir, Sie darauf hinzuweisen, dass Ihr Sohn Herzus die wahren Qualitäten des Lebens lebt, während Ihr Sohn Verstandus einfach in Wahrheit das Leben behindert.“

 

Das Leben mit dem klugen Rat der Hofnärrin

 

Die Königin bedankte sich für die weisen Worte und begann sie zu beherzigen, gegen ihre innere Überzeugung, aber sie glaubte, dass die Hofnärrin natürlich Recht habe. Wie könne es auch anders sein, bei solch einer weisen Frau.

 

Also verbannte sie Verstandus von der Mittagstafel, und erzählte ihrem Sohn Herzus von den Angelegenheiten, die ihr so durch den Kopf gingen. Der Junge war gelangweilt, aber die Königin erinnerte sich immer wieder mantraähnlich an die Worte der Närrin – „Herzus lebt die wahren Qualitäten – Verstandus behindert sie“.

 

Sie ließ Verstandus fortan links liegen. Der wurde immer unglücklicher, Herzus sowieso. Denn er hatte sich noch nie gesehen und geliebt gefühlt, und nun musste er so viel Zeit mit seiner Mutter verbringen, und sie redete so komische Sachen, mit denen er nichts anfangen konnte.

 

Die Königin hingegen bemerkte, dass die klugen Ideen von Verstandus ihr Leben sehr bereichert hatten. Darüber ging sie hinweg und wiederholte ihr Mantra „Herzus lebt die wahren Qualitäten – Verstandus behindert sie“.

 

So zog der Winter übers Land, und inzwischen waren alle 3 unglücklich. An die Hofnärrin brauchte sie sich nicht zu wenden, das war ihr klar, denn sie wiederholte ständig bei jeder Gelegenheit die Geschichte vom bösen Ego, vom Verstand, der das wahre Leben behindere. Und dass die einzige Wahrheit im Herzen, im Gefühl sei.

 

Es wurde dunkel, es wurde kalt. Und an Weihnachten saß die ganze Familie schweigend nebeneinander. Herzus, der sich noch nie geliebt gefühlt hatte, Verstandus, der nun auch nichts mehr galt, die Königin, die überhaupt nicht mehr wusste, was sie tun sollte und der König, der dieses Trauerspiel betrachtete. Er verfiel dann eben auch in Schweigen.

 

So zogen sich die dunklen Tage hin, es war keine Freude mehr im Schloss, außer bei der Hofnärrin. Sie sang übers Ego und das Herz. Irgendwie schwebte sie in ihren eigenen Sphären.

 

Der Frühling zieht ins Lande…

 

Die Tage wurden wieder heller, und man konnte wieder nach draußen. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten die Pflanzen, die ihre Köpfe aus der Erde streckten, die Vögel wurden quicklebendig, erste Bienen flogen.

 

Diesem Zauber konnte sich Herzus nicht entziehen, und er war meistens irgendwo allein im Garten zu finden, wo er andächtig den Vögeln lauschte, glücklich an den Blumen roch, und mit der Schlosskatze spielte, sie kraulte, mit ihr tobte. An einem besonders schönen Tag gluckste unaufhaltsam wieder ein Lachen aus ihm heraus.

 

Genau in dem Moment war die Königin auf der Suche nach ihrem Sohn, sie wollte ihn zum Abendessen holen. Sie hielt mit etwas Abstand zu ihm stande pedes auf dem Absatz inne, als sie ihn erblickte, irgendetwas in ihr bremste ihren Schritt. So konnte er sie nicht sehen, und sie blieb einfach stehen, beobachtete ihren Sohn. Erstmals. Sie sah, wie glücklich er war, wie er im Moment aufging.

 

Und in dem Moment geschah etwas Seltsames: Ihr wurde so komisch ums Herz. Sie dachte, es sei die Herzkrankheit und sie müsse sofort einen Medicus holen. Wie angewurzelt konnte sie aber nicht wegrennen, sie sah weiter ihrem Sohn zu, und so konnte sie bemerken – es war Wärme! Ihr Herz wurde warm! Es weitete sich, und sie fühlte Licht und so etwas wie eine plötzliche Leichtigkeit. Das war schön!

 

Nachdenklich ließ sie ihn da weiter sitzen. Das Abendessen war ihr in dem Moment egal. Und mit leichtem Herzen ging sie zurück ins Schloss. Sie dachte, dann esse ich heute eben mal alleine. Auf dem Weg zur Küche kam sie an der Bibliothek vorbei. Dort sah sie ihren Sohn Verstandus. Hochkonzentriert, mit roten Bäckchen, studierte er ein Buch, er schrieb, er grübelte. Sie platze vor Neugier, was er da ausheckte, womit er sich beschäftigte. Als er genug hatte, hüpfte er davon, er war noch mit einem Freund verabredet. Die Königin hatte sich das Buch gemerkt, an dem er studierte, indem sie sich die leere Stelle im Regal gemerkt hatte. Sie ging neugierig in die Bibliothek. Griff nach dem Buch. Es hieß „Hofgärten und ihre ideale Pflege“. Sie schlug es auf, und verstand nichts. Dass ihr Sohn so etwas verstand? Unglaublich. Sie hätte sich gerne mit ihm ausgetauscht, hätte es gerne verstanden.

 

Weitere Tage gingen ins Land.

 

… die Moral von der Geschicht

 

Irgendetwas hatte sich verändert. Und die Königin merkte, wie sehr ihr beide Söhne fehlten, und wie wichtig ihr beide Söhne waren, wie sehr sie sie beide liebte. Als sie eines Morgens mal wieder schweigend am Frühstückstisch saßen, fragte sie die beiden „Ihr Lieben“ (hier stutzten beide Söhne schon einmal). „Ihr Lieben“, wiederholte sie. „Wir haben viel zu lange nichts mehr gemeinsam unternommen. Wie wäre es, wir unternehmen gemeinsam mal wieder etwas? Heute Mittag?“. Die Jungs schauten sich an. „Warum nicht“, meinte Verstandus. „Oh ja, ich hätte Lust auf die blühenden Gärten Schlaraffias!“ meinte Herzus.

 

Gesagt, getan. In den Gärten Schlaraffias, sprang Herzus fröhlich von einem Baum zum anderen, er roch, er genoss, er betrachtete die Schönheit, und hörte nicht auf, sie anzupreisen. Beide, sowohl die Mutter, als auch sein Bruder, wurden angesteckt, lächelten verzückt, und schauten ihm zu. Ihre Herzen wurden weit, weich und warm. Ganz leicht fühlte es sich an.

 

Als Herzus müde war, breitete die Königin eine Picknickdecke aus. Sie öffnete den Korb, der voller feiner Leckereien war. Die drei setzten sich hin. Sie aßen, sie schwiegen friedlich und erfüllt. Da begann Verstandus zu sprechen. Er erzählte von Gärten, wie man sie anlegte, wie sie zu pflegen seien, und wo man am Besten die jeweiligen Pflanzen hinsetzte, damit sie die bestmöglichen Wachstumsbedingungen hatten. Herzus und die Königin hörten zu, es war so spannend! Verstandus sah, dass er auf Interesse stieß, und nun packte er die Details aus. Die beiden Anderen saßen mit offener Kinnlade da. An so etwas hätten sie im Leben nicht gedacht. Das war so interessant!

 

Der Tag ging glücklich zu Ende, und die Mutter durfte sogar ihre beiden Jungs, die inzwischen mitten in der späten Pubertät waren, in den Arm nehmen. Wie jede Mutter weiß, das ist die höchste Auszeichnung.

 

Am nächsten Morgen beim Frühstück war die Stimmung gelöst. Es wurde gelacht, die Sonne schien, Herzus rückte auf seinem Stuhl hin und her, weil er keine Lust auf Schule hatte. Verstandus kannte seinen Bruder ja sehr gut, und er riet ihm „komm, Augen zu und durch, mach Deine Hausaufgaben gleich in der Schule, und dann hast Du nachher mehr Zeit!“. Herzus staunte. So konnte man es auch handhaben? Er erkannte, ja, das erleichtert mein Leben! Es erhöht meine Freizeit! Juhu!

In seiner Euphorie fragte er Verstandus, ob er mittags mit raus käme in den Garten, um dort zu lernen. Verstandus staunte. So konnte man es handhaben? Er erkannte, ja! Wie schön! So kann ich ganz angenehm das herrliche Wetter genießen und dabei lernen! Gesagt, getan.

 

Beide Söhne hatten einen wunderbaren Tag, saßen abends lebendig plappernd bei Tisch, ein Wort ergab das Andere, eine herrliche, quicklebendige Symphonie. Die Königin lauschte voller Glück, und sie genoss. Sie genoss aus ganzer Seele die so wohltuende Verbindung und war aus ganzem Herzen dankbar für ihre beiden Söhne. Für beide gleichermaßen. Jeder genauso, wie er ist.

 

Die Hofnärrin schickten sie auf die nächste Fortbildung, wo diese eine Stellenanzeige in einem anderen Schloss sah, sich bewarb und genommen wurde.

 

Der König meinte, nun, da es Euch Dreien hier ja so gut geht, braucht ihr ja gar keine neue Hofnärrin. Wie wäre es, wir fahren für das gesparte Geld mit unserer Kutsche in Urlaub? Gesagt, getan. So lebte die Familie im Glück, die Söhne heirateten, zogen aus, gründeten eigene glückliche Familien.

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

 

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