Kommunikation und Miteinander hat man selbst in der Hand – wirklich?

 

Wenn ich mich nur gut genug ausdrücke, dann werde ich verstanden. Wenn ich nur gut genug weiß, was in anderen Menschen vorgeht, kann ich empathisch darauf eingehen, und dann gibt es ein gutes Miteinander. Kommunikation und Miteinander habe ich folglich selbst in der Hand. Das glaubte ich.

 

Aus diesem Antrieb heraus beschäftige ich mich seit nunmehr 30 Jahren, mehr als die Hälfte meines Berufslebens, mit Kommunikation und innerpsychischen Dynamiken. Es fiel mir schon früh auf, dass es zwischen uns Menschen oft mehr Missverständnisse als Harmonie zu geben schien, und dass manche Streitthemen nicht geklärt werden können. Logischerweise dachte ich, dass das veränderbar sein müsse, und erlernte viele Techniken und Methoden. Ich kann, zumindest in der Theorie, perfekt kommunizieren, und habe Empathie für jeden. Somit muss doch jeder Konflikt lösbar sein? Jede Diskrepanz, jede Misharmonie? Nein, dem ist nicht so. Ich schreibe „in der Theorie perfekt“ deshalb, weil es auch bei mir, wie bei nahezu jedem Menschen, Zeitpunkte und innere Dynamiken gibt, bei denen die Technik nicht mehr greift. Aber dazu später.

 

 

 Es ist kinderleicht

 

Vor einigen Jahren wurde mir bewusst, dass es immer und stets den Anderen, das Gegenüber braucht, um eine gelungene Kommunikation und einen gelungenen Kontakt zu erreichen. Es braucht die Bereitschaft, offen aufeinander zuzugehen, sich zuzuhören. Beidseitig. Du sagst, was bei Dir los ist, wie Du denkst und fühlst, und erhältst dafür Empathie von mir, und umgekehrt. That´s it! Ganz einfach! Kann jedes Kind!

 

Ich habe Recht und Du bist schuld

 

Es scheiterte allein schon daran. Daran, dass die meisten Anderen genau dazu eben NICHT bereit sind. Sie wollen oder können sich in ihrem Ärger, ihrem rechthaberischen Ärger, in dem es keine andere Wahrheit gibt, nicht auf den Anderen einlassen. Seine Wahrheit hören, ihm zugestehen, dass er ebenfalls Gefühle und Bedürfnisse hat. Dass auch er dafür einen berechtigten Anlass empfunden hat. Interpunktion eben. Die Frau redet die ganze Zeit auf den Mann ein, während er die Zeitung immer höher hält. Er regt sich auf, dass sie immer redet, sie, dass er nie zuhört. Würde er die Zeitung runternehmen, würde sie nicht mehr so viel reden. Würde sie nicht mehr so viel reden, würde er die Zeitung runternehmen. Beides gleichzeitig ist wahr. Das erkennen sie jedoch nicht, und sind gegenseitig aufeinander böse, verärgert, und sie sind der Meinung, dass der Andere angefangen hat damit, also schuld ist.

 

Einer alleine reicht nicht…

 

Nur in sehr sehr reifen Beziehungen wird auch gelebt, dass beides wahr ist. Mit Beziehung meine ich jetzt nicht nur Partnerschaft, sondern Beziehungen jeglicher Art. In diesem Fall greifen die Kommunikationstechniken noch. Aber wie schon gesagt, auch hier nur, wenn beide wollen. Einer allein schafft das nicht. Zumindest nicht so, dass es gerecht und ausbalanciert zugeht.

 

Von dem Anspruch kann man sich also getrost verabschieden, aber man kann sich merken, dass man auch selbst der Interpunktion aufsitzt, und entsprechend empathisch zuhören. Das kann die Lage entschärfen, und Konflikte können sich lösen…..

 

… es sei denn, Dir ist egal, dass Deins nicht zählt

 

…wenn man sich von dem Wunsch verabschiedet, die eigene Sicht der Dinge möge auch gewürdigt werden. Insofern hätte man es selbst in der Hand. Gut zuhören, den Anderen würdigen, ihn beruhigen, Wind aus den Segeln nehmen. Alles wieder gut. Nur dass das extrem einseitig ist. Traurig, oder? Es gibt viele Menschen, die „Harmonietypen“, die das nicht als traurig empfinden, weil ihr innerer Wunsch nach Harmonie so stark ausgeprägt ist, dass es sie nicht stört, dass es nicht nach ihnen geht. Zumindest glauben dies die bewussten Anteile. Die unbewussten Anteile darunter krümmen sich, aber das merkt kaum einer. Bis es zu körperlichen Symptomen kommen kann. Aber das ist ein anderes Thema. Steckt man jedenfalls nicht zurück, ist nicht „diplomatisch“, sondern besteht darauf, dass man selbst auch noch da ist, wird es schwierig im Kontakt.

 

Die Lösung ist in der Tiefe der Psyche gut versteckt

 

Über diese Situation der häufigen Einseitigkeit hinaus geht es nun noch eine Stufe tiefer. Es gibt da diese Streits, bei denen man sich gefühlt wegen einer Zahnpastatube an die Gurgel geht. Oder einer offenen Senftube. Oder einem nicht weggewischten Fleck. Ist doch kein Weltuntergang, oder? Sowas kann zu tagelangen Streits führen! Warum! Weil es in Wahrheit um etwas Anderes geht. Fast alle Diskussionen und Streits, über die wir uns mit all den tollen Kommunikationstechniken austauschen, sind Ablenkungsmanöver, wir reden über Äpfel, obwohl es um Birnen geht. Wir formulieren kluge Worte, professionell geschult, unterhalten uns über Thesen, sachliche Askpekte – all das, ohne auch nur einen Hauch eines Schimmers zu haben, dass es darum gar nicht geht.

 

Die meisten Emotionen sind in den ersten drei Lebensjahren ab Zeugung als emotionale Präferenz und Erinnerung, als neuronales Erregungsmuster in uns angelegt. Ihnen entsprechend reproduzieren wir. Immer und immer wieder. Genau diese Emotionen. Mit neuen Darstellern, in neuen Situationen, so geschickt verpackt, dass wir nicht erkennen können, dass es immer die gleichen Emotionen sind, um die es im Kern geht. Es handelt sich um alte Verletzungen, alte Schmerzen, Traumata. Ein Trauma, dieser Begriff schreckt viele ab, weil sie unter Trauma ausschließlich Gewalttaten o.ä. verstehen. Dem ist nicht so. Ein Kind kann durch viele überhaupt nicht böse gemeinten Gegebenheiten traumatisiert werden, von der Schwangerschaft über Geburt hin zu Trennungen von der Mutter, und vieles mehr. Es gibt hervorragende Traumaliteratur, wer mag, kann das gerne nachlesen. Je feinfühliger ein Wesen ist, umso mehr nimmt es sich zu Herzen, wenn es beispielsweise fühlt, dass Mama Angst hat, Mutter zu werden oder diese Entscheidung anzweifelt.

 

Jeder Konflikt basiert auf einem Trauma

 

Derzeit verfolge ich die These, dass nahezu jegliche konfliktäre Kommunikation und schwieriges Miteinander traumagetriggert ist oder zumindest auf Emotionen abzielt, die sehr alt sind und in unserem limbischen System abgespeichert sind. Das perfide daran ist, dass jede einzelne aktuelle Situation, die uns ärgert, berechtig ist, es also wirkliche Gründe gibt, die die Gefühle erklären.

 

Da formulieren wir professionell „Die Zahnpastatube ist offen“ (sachliche Darstellung des Geschehens), „das ärgert mich“ (bin ehrlich, nenne mein Gefühl). Der Andere ist dann zurecht irritiert. Was ärgert mich eine offene Zahnpastatube? Ist doch kein Problem! Dieses „ist doch kein Problem“ denkt unser logischer Verstand, nicht jedoch unser limbisches System. Dieses wittert in der offenen Zahnpastatube einen Angriff auf unsere Bedürfnisse, mangelnden Respekt, Achtlosigkeit (die einen emotional früher mal unfassbar gestresst haben muss) und so weiter.

 

Das Gefühl ist die Lösung

 

In der Gewaltfreien Kommunikation (GFK)ergründet man sein eigenes Gefühl. In dem Fall „ärgerlich“. Für sein eigenes Gefühl übernimmt man Verantwortung, das heißt, der Andere ist nicht schuld. Du hast zwar die Zahnpastatube offengelassen, aber dass ich mich darüber ärgere, ist mein Ding! In der GfK-extended, die ich praktiziere, bleibt man nicht bei dem oberflächlichen Gefühl. Sondern man fühlt nach, spürt sich selbst nach, bis auf den Grund. Was ist eigentlich los? Und das, was eigentlich los ist, dafür kannst Du nichts. Du hast es nur gereizt. Danke!

 

Wenn ich weiß, was los ist, kann ich mich MEINEN emotionalen Schmerzen zuwenden, gut für diese sorgen, und wenn ich mich selbst gehalten, getröstet und im besten Fall das Gefühl zu Ende gefühlt und somit aufgelöst habe, kann ich ganz cool und nüchtern kommunizieren „Du, als ich vorher zum wiederholten Male die offene Zahnpastatube gesehen habe ist der Gaul mit mir durch, ich hab mich so geärgert! Ich fühlte mich wertlos und unwichtig, weil ich gedacht habe Du ignorierst mich in meinen Wünschen. Naja, bös wäre ich trotzdem nicht, wenn Du die Tube künftig zumachen könntest! Sie trocknet doch sonst aus. Ok?“

 

Die Königsklasse im Miteinander ist Beidseitigkeit

 

Da alles in der Regel auf Gegenseitigkeit beruht, ist es selten so, dass nur die alten Gefühle von einem Beteiligten anspringen, meistens sind es beide. Was gibt es Schöneres im Miteinander, wenn dies gemeinsam geklärt und gelöst werden kann und so beide weiterkommen! In dem Fall ist für mich sogar die eigentlich unfaire rhetorische Technik des „tu quoque“ (Du auch) legitim: jemand macht Dir einen Vorwurf. Will Dir klarmmachen, was Du alles falsch machst, seinen Ärger loswerden und will haben, dass Du Dich entschuldigst, auf dass dann alles wieder gut ist! Nein. Tu Quoque. Mit dem kannst Du Dich schützen. Kannst sagen „ich verstehe Dein Anliegen, es kommt bei mir an, und gleichzeitig ist die Situation bei mir wie folgt“.

 

Bliebe es dabei, wäre es unfaire Rhetorik, ein Wegbatschen eines Vorwurfs, ein kommunikatives Patt. Das keinem hilft. Bleibt es aber nicht dabei, hat der Andere registriert, halt, da ist ja noch wer. Da gibt es auch noch andere Gefühle, Bedürfnisse, Sichtweisen! Lass uns über BEIDES reden! Wunderbar, oder?

 

Fazit:

 

Es ist wichtig, gut kommunizieren zu können. Die Techniken helfen bis zu einem gewissen Grad. Noch wichtiger ist es, seine Gefühle zu ergründen, bei jedem Missverständnis, jedem Konflikt, jeder Emotion erhält man Gelegenheit dazu, seinen Keller zu entrümpeln! Man muss nicht alles ewig wiederholen, es genügt, innezuhalten, zu spüren, zu erspüren, und dem ganz alten Anteil in sich drin, der damals so verletzt worden war, mit ganz viel Liebe aus der Patsche zu helfen. Das alles kann man alleine tun, ohne dass man das Gegenüber, dass einen verletzt hat, dazu braucht! Ja im Gegenteil. Wer zu viel über sein Gegenüber reflektiert und zu viel über vermeintliche eigene Fehler, verliert unfassbar viel Energie.

 

Also, man kann das ganz unabhängig zumindest für sich selbst klären. Das ist das Schöne daran. Probier´s aus! Es ist wunderbar, wie sich als Folge manche Themen dann eben doch scheinbar ganz von alleine wie von Zauberhand auflösen, wenn man sie für sich geklärt hat. Somit hast Du den Konflikt durch eigene Arbeit entschärfen können. Meist braucht es beide, you need two for a Tango. Vielleicht hast Du den Anderen auch durch Dein eigenes Vorbild inspirieren können, ähnlich an die Themen heranzugehen. Das ist aber zweitrangig, da jeder für sich selbst verantwortlich ist, jeder jederzeit das für ihn Beste gibt. Als Nebenwirkung wirst Du auf viele Diskussionen und auch viele Kontakte keine Lust mehr haben. Du brauchst sie nämlich nicht mehr. Das war ihr einziger Zweck, verletzte Gefühle ans Tageslicht zu bringen und zu heilen. Ist das geschehen, braucht es das Tohuwabuhu nicht mehr. Frieden kehrt ein.

 

 

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